Ein Klasse-Torwart sagt Adieu

Nach 28 Jahren Handball stellt Daniel Sommerfeld künftig Familie und Karriere in den Vordergrund

Bremen. Ihre erste Begegnung war nicht gerade der Beginn einer kochenden Leidenschaft. Der Legende nach hatte Daniel Sommerfeld – nun ja – einige Bedenken, als sich ihre Weg zum ersten Mal kreuzen sollten. „Wenn Matthias zu uns wechselt, werde ich den Verein verlassen“, soll der Handballtorwart, vor etwa zehn Jahren noch in Diensten der HSG Schwanewede/Neuenkirchen, einst gesagt haben.

Daniel Sommerfeld stemmt sich einem generischen Angriff entgegen. Dieses gewohnte Bild wird es bei den Handballern des ATSV Habenhausen ab dem Mai nicht mehr geben. Der 32-jährige Torwart wird seine sportliche Laufbahn nach der Saison beenden.

„Wir kannten uns nur als gegnerische Spieler und konnten gegenseitig mit der vermeintlichen Arroganz des anderen nicht umgehen“, erinnert sich der Keeper des ATSV Habenhausen. Matthias Ruck kam dennoch, Daniel Sommerfeld blieb und fortan sollte sich eine Verbindung ergeben, die mittlerweile weit über den rein sportlichen Bereich hinausgeht. „Inzwischen ist Daniel unser Trauzeuge und Patenonkel unserer Tochter. Wenn er jetzt am Saisonende seine Karriere beenden wird, verliere ich quasi einen meiner besten Freunde in der Mannschaft“, sagt der heutige Trainer des Oberligisten ATSV Habenhausen.

Wenn Ruckh darüber spricht, ist auffällig, wie sehr ihm der Abschied persönlich schwerfällt. „Wir haben zusammen viel erlebt und uns entwickelt, für mich ist das schon sehr emotional“, so Ruckh. Der Verlust wiegt nicht nur menschlich schwer, auch sportlich wird Sommerfeld seiner Mannschaft fehlen. Für Ruckh steht fest: „Er ist der beste Torwart der Liga“. Unvergessen ist dabei der Gewinn des deutschen Amateurpokals 2019: Im Endspiel setzte sich Habenhausen vor 2.551 Zuschauern gegen den BTB Aachen durch. Nach einer packenden Partie fiel die Entscheidung erst nach der regulären Spielzeit. Im Siebenmeterwerfen wurde Daniel Sommerfeld mit drei Paraden zum Matchwinner und sicherte damit den 31:29-Erfolg.

Dieses Leistungslevel hat Sommerfeld bis heute gehalten und war auch beim jüngsten rekordverdächtigen 52:22-Sieg über den Aufsteiger TV Oyten der gewohnt sichere Rückhalt. „Tempohandball ist ja ohnehin schon unser Plus. Jetzt haben wir in den letzten Wochen im Training noch zusätzlich extrem an unserer Geschwindigkeit gearbeitet. Das hat viel gebracht. Gegen Oyten haben wir im Schnitt maximal 20 Sekunden für einen

Angriff benötigt. Das war ein richtiger Befreiungsschlag. Ich sehe uns wieder auf dem richtigen Weg“,  sagt der Bremer. Dieser Weg soll den aktuellen Tabellenzweiten ATSV Habenhausen zurück in die 3. Liga führen. Für Sommerfeld wäre das ein perfekter Abschluss seiner sportlichen Laufbahn. „In der 3. Liga fühle ich mich leistungsmäßig sehr wohl, aber es ist ehrlicherweise auch ein enormer Aufwand. Vom Wochenende ist immer mehr als ein Tag weg. Beim Auswärtsspiel fährst du um 12 Uhr los und bist irgendwann nachts um drei Uhr wieder zu Hause, immer noch voller Adrenalin und du kommst noch später zur Ruhe. Das kostet viel Kraft.“

Diesen Aufwand kann und will der 32-Jährige nicht mehr auf sich nehmen. „Nach 28 Jahren, in denen ich mich sportlich, beruflich und familiär immer an meine Grenzen gebracht habe, ist jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen. Ich möchte aufhören, wenn ich noch auf meinem höchsten Level spielen kann“, sagt Sommerfeld. Er ist ein Perfektionist, nicht nur beim Handball. „Ich will immer das Beste. Wenn es geht, immer mehr als möglich. Das gilt für mich auch beruflich und für meine Familie“, sagt der Vater zweier Töchter. Genau dieser Spagat beschäftigt Daniel Sommerfeld bereits seit Längerem gedanklich. Jetzt sollen Familie und Beruf gleichermaßen in den Vordergrund rücken.

„Ich wollte mehr Zeit mit meinen Kindern verbringen und gleichzeitig meine Karriere vorantreiben. Dann auch noch mit meinem eigenen hohen Anspruch im Sport unterwegs zu sein, ist für mich nicht mehr möglich“, sagt Daniel Sommerfeld. Im Bremer Mercedes-Benz-Werk teilt sich Sommerfeld in einem zu diesem Zeitpunkt bundesweit einmaligen Arbeitsmodell mit einem Kollegen die Teamleitung in der Montagehalle 9, Bereich „Fahrwerk 1 und technische Zentren“. Dabei trägt das Duo Personalverantwortung für 15 Personen auf Meister-Ebene, die wiederum insgesamt 550 Menschen führen. Für den Habenhauser Torwart war es eine gute Entscheidung. „Die Möglichkeit, mehr Zeit mit meinen Kindern zu verbringen, hat mich definitiv umgetrieben bei der Entscheidung für dieses Modell. Man muss aber auch sagen: So ein Lebensmodell ist auch eine organisatorische Herausforderung. Zu Hause müssen wir uns mehr abstimmen. Aber die Bereicherung überwiegt klar.“

Einen schleichenden Abgang kann sich Sommerfeld nicht vorstellen. Das würde auch seinem Ehrgeiz und Anspruch widersprechen. Seit er mit fünf Jahren bei der HSG Schwanewede/Neuenkirchen erstmals auf der Platte stand, später dann bei der SG Achim/Baden und jetzt beim ATSV Habenhausen zwischen den Pfosten stand, ist er es gewohnt, im Tor die Nummer eins zu sein. „Vielleicht würde es ja sogar funktionieren, wenn ich weitermache, aber nur noch einmal in der Woche trainiere. Dadurch aber dann nur noch als Nummer zwei mitzufahren, würde mir sehr schwerfallen. Dann ziehe ich lieber einen kompletten Schlussstrich.“

Und so wird Daniel Sommerfeld aller Voraussicht nach am 20. Mai im Heimspiel gegen den TuS Rotenburg seine letzte offizielle Partie für den ATSV Habenhausen bestreiten. Was danach handballerisch vielleicht doch noch kommen könnte, lässt er offen. „Jetzt werde ich mich erst einmal an die neue Lebensphase gewöhnen. Aber dass ich für immer weg sein werde, glaube ich nicht. Meine Kinder haben jetzt schon viel Spaß in der Halle und mal sehen, ob ich nicht irgendwann einmal in einer ganz anderen Funktion dabei bin.“

Veröffentlicht am 16.02.2023 Geschrieben von Rainer Jüttner