Herrliche Tage in Südtirol

Steh auf, wenn Du ein Wanderer bist, sprach Kalle nach überstandener Operation und einigen Monaten der Rekonvaleszenz zu sich selbst und machte sich mit wieder erwachter Lebensfreude an die Planung einer dritten mehrtägigen Reise nach Südtirol. Das Echo war natürlich groß. Die Neuen, die zum ersten Mal dabei sein wollten, waren überrascht von der Akribie und Präzision der Vorbereitung, als sie das Programm in Händen hatten. Die „alten Hasen“ waren das natürlich gewohnt und konnten sich in ihrer Vorbereitung darauf beschränken, den Reiseobolus zu entrichten und die Ausstattung ihres Reisegepäcks zu planen.

Am 20. April war es dann endlich so weit. In aller Herrgottsfrühe hieß es aufstehen, damit um 4.00 Uhr am Sportplatz Kästnerstraße und kurze Zeit später auf dem Marktkauf-Parkplatz der Sausner Komfortbus personell und materiell „bestückt“ werden konnte. Nachdem das Reisegepäck im Bauch des Busses verstaut war und alle 44 Teilnehmer ihre zugeteilten Plätze (auch daran war gedacht) eingenommen hatten, setzte sich der Bus Richtung Süden in Bewegung. Etwa in Höhe Göttingen graute der Morgen und knurrte einigen schon der Magen. Gott sei Dank war der Landgasthof Hess in Aua (Nähe Kirchheimer Dreieck) nicht mehr weit, wo nicht nur ein reichhaltiges Frühstück, sondern auch Frank und seine Frau Bianca auf uns warteten, die uns als Fahrer (Frank) und Versorger (Bianca mit Kaffee und Würstchen) ans Ziel bringen sollten. Da der Reschenpass nach Frank´s Recherchen gesperrt war, nahm der Bus den Umweg über Innsbruck und erreichte gegen 21.00 Uhr den Mittelplaserhof in Algund, der uns für zehn Tage beherbergte. Die Chefin bestand darauf, dass wir noch vor dem Einchecken ein viergängiges Menü „verarbeiteten“, weil ja schon für den nächsten Morgen eine erste längere Wanderung angesetzt sei.

Nach anfänglich wenig und später sehr erholsamem Schlaf und einem kräftigenden Frühstück ging es dann am nächsten Morgen um 10.00 Uhr auf den Algunder Waalweg, der sich tatsächlich – wie angekündigt – als leichter Wanderweg mit Einlaufpotenzial durch Wein- und Obstplantagen mit schönen Ausblicken auf das Meraner Land erwies. Den als schöne Promenade angelegten Tappeiner Weg erreichten zwar noch alle, doch suchten schon dort die meisten einen kürzeren als den vorgegebenen Weg ins Zentrum von Meran. Ohne Aufregung landeten dann aber wieder alle in der „Laubenenothek“ zum gemeinsamen Verzehr einer Südtiroler Brotzeit. Der Nachmittag war dann zum Bummeln frei gegeben, nachdem vor dem an der Passer gelegenen Kurhaus ein Gruppenfoto geschossen worden war. Pünktlich um 17.30 Uhr fanden sich dann alle wieder am Parkplatz Therme zum Busrücktransport nach Algund ein. Wer nun glaubte, dass es „leichten Fußes“ weiter gehe, sah sich getäuscht. Am zweiten Tage wurde der Schwierigkeitsgrad gesteigert. Der Bus stand schon um 9.00 Uhr bereit und brachte uns über Bozen und danach über enge aufsteigende Serpentinen nach Seis am Schlern. Dort übernahm der erfahrene und unterhaltsame Wanderführer Georg das Kommando und führte uns durch Wiesen auf ansteigenden Wegen hinauf zum Laranzhof, wobei er uns nicht nur die Landschaft, sondern auch die richtige Atemtechnik erklärte. Ziel der Vormittagswanderung war die Königswarte, die wir durch grünende Wälder erreichten. Von der Königswarte aus bot sich uns eine herrliche Aussicht auf das Eisacktal und das Bozener Becken. Der Rückweg nach Seis führte an der Kapelle Sankt Valentin vorbei, nach Darstellung von Georg ein beliebter Hochzeitsort „ohne Garantie für einen glücklichen Verlauf der Ehe“. Kaum zurück in Seis ging es mit dem Bus über ein paar Kilometer Serpentinen zum höher gelegenen Örtchen Kastelruth, einer Marktgemeinde mit deutsch und ladinisch sprechenden Einwohnern in der Nähe der Seiser Alm, der höchsten Hochalm Europas und bekannt durch die „Kastelruther Spatzen“, die leider ausgeflogen waren.

Für Sonntag war kein Kirchgang, sondern der Marlinger Waalweg angesagt, der uns von der Etschschleuse in Töll über steile Hänge am rechten Etschufer teilweise über Stege und abwechselnd durch Mischwald und Obstplantagen über zwölf Kilometer – am Ende zweihundert Meter abfallend – nach Lana führte. Auf halber Strecke war Einkehr in „Traudis“ Buschenschenke, was hierzulande wohl Straußenwirtschaft genannt wird. Der Marlinger Waal ist mit seinen 12 Kilometern längster Bewässerungskanal Südtirols. Seine Funktion wird dauerhaft von den Obstbauern und Winzern überwacht.

Am nächsten Morgen schnürten wir die Stiefel früh und fest. Der Bus brachte uns in einstündiger Fahrt durch das Etschtal bis kurz vor Sankt Josef zu einer Wanderung um den Kalterer See, der 236 m über dem Meeresspiegel liegt. Vor uns lagen 400 Meter Anstieg über den Kardatscher Weg durch wunderschöne Flora mit blühendem Bergginster über Kaltern (550 m) und dann immer noch leicht ansteigend durch duftenden, frühlingshaften Buchenwald zur Waldschenke, die wir nach ca. 2 ½ Stunden erreichten. Dort hielten uns die Nichtaktiven Plätze für einen verdienten Mittagssnack frei. Wer raufgeht, muss auch wieder runter. Die Rückwanderung führte durch Wald und nach Erreichen der Ortschaft Söll durch Weinäcker nach Tramin (wo nicht wenige von uns den berühmten Gewürztraminer ausprobierten).

Am 25. April feiern die Italiener jedes Jahr die Befreiung von ihrem eigenen und dem deutschen Faschismus, was uns nicht davon abhielt, mit Georg nach halbstündiger Busanfahrt von Sankt Nikolaus durch das Ultental über Bergwiesen zu den Urlärchen zu wandern. Der Wanderweg lag zwischen 800 und 1.000 m über dem Meeresspiegel. Über uns in ca. 1.700 m Höhe verstreuten sich einsam gelegene Berghöfe, von denen es in Südtirol – wie Georg uns erklärte – leider nur noch wenige gibt. Nach ca. 1½-stündiger Wanderung durch Fichten- und noch kahle Lärchenwälder erreichten wir Sankt Gertraud in 1.500 m Höhe, wo es wieder einen Mittagssnack gab. Auf dem Tal auswärts führenden Rückweg führte die Wanderung uns zu den Urlärchen, an deren „Gesichtern“ wir ca. 800 Jahre Geschichte und Vergänglichkeit ablesen konnten.

Am nächsten Tag konnten die Wanderschuhe auslüften. Wir machten uns fein für einen Tagesausflug zum Gardasee. Auf der Busfahrt gen Süden erklärte uns Georg die beiderseits gelegene Bergwelt und verwies in Höhe Neumarkt auf das rechts am Hang der Etsch gelegene agrartechnische Forschungsinstitut mit Lehranstalt für Obstanbau und Agrarwirtschaft, in dem Obstsorten entwickelt und in der insbesondere dem Nachwuchs der Hofbauern Alternativen zur Bewirtschaftung ihrer Berghöfe aufgezeigt werden, um das Sterben der Berghöfe zu stoppen. Ziel der Busreise war Malcesine, von wo aus wir nach eingehender Ortsbesichtigung gegen Mittag mit der Fähre nach Limone übersetzten, um dort einen sonnigen Nachmittag und Abend mit Bummel, Einkauf und Verzehr zu verbringen.

Nach so viel Freizeit wurde es dann am Donnerstag geschichtsträchtig. Auf zur Frühlingswanderung ins Etschtal! Der Bus brachte uns bis nach Montan. Von dort ging die Wanderung hinauf auf den Hügel von Castelfeder, einem kuppelförmigen Hügel, auf dem Reste einer byzantinischen Festung aus der Zeit um 500 n. Ch. nebst Barbarakapelle zu bewundern waren. Eindrucksvoller war jedoch der sich uns bietende Panoramablick auf weite Teile des Südtiroler Unterlandes bis hinunter zur Salurner Klause, der Grenze zum Trentino. Die Landschaft war geprägt von kleinen Seen, Nieder- und Hochmooren mit Steppengras sowie auch von mächtigen Eichenbäumen. Die Wanderung dauerte ca. 5 Stunden. Dabei waren 250 Höhenmeter bergauf und ca. 350 Höhenmeter bergab zu bewältigen. Das war genug, um sich auf der Busrückreise für den Abend zu entspannen, an dem wir nach dem Abendessen einen ca. 2-stündigen Vortrag des jungen Bergsteigers Simon Messner genießen durften, der uns in einem bebilderten Bericht schilderte, dass und wie er mit seinem berühmten Vater dessen Nanga-Parbat-Erstbesteigungsabenteuer von 1972 nachgeklettert hat, bei dem dessen Bruder tödlich verunglückt war. Nach dem Vortrag war für alle Gelegenheit zu persönlichen Nachfragen. Am Ende stand für uns alle fest, dass wir es beim Wandern belassen wollen.

Freitag war großer Markttag in Meran. Natürlich stand allen dieser Tag zur freien Verfügung, sogar Busfahrer Frank hatte frei. Die meisten fuhren mit dem Bus nach Meran und genossen den Einkaufsbummel über den Markt. Wenige blieben im Hotel und genossen einfach nur die Ruhe im Wellnessbereich oder im Freibad. Die Meraner trafen sich dann irgendwann im Café Lissie Royale, um ihren Verzehrgutschein einzulösen. Gegen Abend verließen alle das schöne Meran mit dem Gefühl, heute Kurgast gewesen zu sein.

Samstags hatte uns Georg wieder im Griff. Auf der Abschlusswanderung wollte er uns das Eisacktal und die Stadt Brixen zeigen. Der Bus setzte sich um 9.00 Uhr Richtung Norden in Bewegung und erreichte nach ca. 1 ½ Stunden das Örtchen Feldthurns, von wo aus wir über den Ketschnweg in ca. 2 ½ Stunden die Stadt Klausen erreichen sollten. Der Ketschnweg sagte uns erst gar nichts, bis uns Georg das Wort aus dem ladinischen übersetzt hatte. Spätestens nach einigen Kilometern war allen klar, dass es sich um den Kastanienweg handelte, da sich links und rechts ein Kastanienbaum an den anderen reihte. Gott sei Dank ließen die hohen Stämme der alten Bäume die herrliche Aussicht auf die Dolomitengipfel der Geißlergruppe zu, so dass auch Fotos geschossen werden konnten. Urplötzlich tauchte dann vor uns die Klosterburg Säben auf. Leider verlangte der steile Aufstieg zu ihr uns noch einmal alles ab. Die Besichtigung des Gemäuers entschädigte uns mit ihren Fresken für die Mühsal des Aufstiegs, die uns auf dem gepflasterten Stationenabstieg zur Burg Bronzoll und zum Stadtbereich von Klausen jedoch wieder einholte. Bei der anschließenden Busfahrt nach Brixen konnten alle durchschnaufen und den anschließenden Spaziergang durch die im Herzen Südtirols liegende Stadt Brixen (drittgrößte Stadt Südtirols nach Bozen und Meran) genießen. Der Anblick der historischen Gebäude im Kern der alten Bischofsstadt vertrug sich mit dem Verzehr einer Eiskugel, bevor alle wieder in den Bus einstiegen zur Rückreise nach Algund. Dort wartete ja schließlich noch ein Galadinner mit einem „Südtiroler Abschiedsabend“ auf uns.

Frisch geduscht und leicht festlich gekleidet versammelten wir uns dann gegen 18.30 Uhr auf der Hotelterrasse, prosteten den Gastgebern und uns mit einem Glas Prosecco zu, um anschließend das viergängige Galadinner zu genießen. Dass die Köche hierbei noch einmal zugelegt haben, hat uns nach den Verwöhnmenüs der Vorabende dann doch erstaunt. Beim anschließenden Ausklang mit Tiroler Musik wirkten zunächst alle (mit Ausnahme von Gerlinde) müde und erschöpft. Doch ließen dann nach mehreren Takten die Youngster der Wanderabteilung zur Überraschung aller als Erste das Tanzbein schwingen, während es die anderen beim gemütlichen Plausch von Tisch zu Tisch beließen. Gegen Mitternacht waren dann alle ohne Ausnahme darüber einig, dass eine erlebnisreiche und insbesondere auch harmonische Woche mit insgesamt 120 Wanderkilometern hinter ihnen lag. Mit dieser Einstellung stieg man am nächsten Morgen gegen 9.00 Uhr wieder in den Bus, mit dem uns zunächst Frank bis zum Zwischenstopp in Aua und sodann sein Mitarbeiter Jochen kurz nach Anbruch des neuen Tages sicher nach Habenhausen zurückbrachten.

Jürgen Ritting

0 Kommentare

Hinterlasse einen Kommentar

An der Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert